Montag, 7. November 2011

Wie im Passat - der portugiesische Norder

Von La Coruna nach Lagos / Algarve, ca. 480 Seemeilen
04.11.2011 bis 07.11.2011

Irgendwie bin ich vor längeren Etappen wohl doch etwas aufgeregt. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich in der Nacht vor dem Start gen Süden trotz dem Genuss zweier Gläser Vino Tinto nur mit einiger Verspätung einschlafen konnte. Lange habe ich noch gelesen, mich hin und her gewälzt und bin dann doch nochmal wieder aufgestanden.
Gegen zwei oder halb drei hat es dann mit dem Einschlafen endlich geklappt aber unerbittlich klingelte um acht dann schon der Wecker.
Bevor ich mit meinem schwimmenden Appartement auf Törn gehen kann stehen immer so einige Dinge an. Kleines Frühstück, Wassertanks auffüllen, Fahrrad verstauen, im Marinabüro abrechnen, ein letztes Mal duschen, die Gioia aus dem Gewirr von einem knappen Dutzend Festmachern befreien und so antüdeln, dass ich ohne fremde Hilfe gut aus der Box komme, Groß- und Genuapersenning abnehmen, Fock anschlagen, nochmal die aktuellsten Wetterberichte runterladen, das große Notebook wegstauen und das kleine Navigations-Netbook auf dem Kartentisch hochfahren, das Pendelruder der Windsteueranlage runterklappen, das Landstromkabel an Bord nehmen, die Topfhalter auf dem Gasherd anschrauben, beim Nachbarn verabschieden...
...und dann kann es so langsam los gehen.
Um 11.15 Uhr habe ich ein wunschgemäßes Ablegemanöver gefahren und die Marina verlassen, noch im Vorhafen schnell das Groß gesetzt und kurz hinter der Mole dann auch die Genua ausgerollt.
Wir waren offensichtlich nicht die einzigen, die auf dieses Wetterfenster gewartet haben. Wie auf einer Perlenschnur aufgereit verließen die Yachten La Coruna.
Darunter auch die „Sehnsucht“, eine 15m Slup von der Insel Rügen mit Ihrem Eigner Victor.
Mit ihm hatte ich am Vortag bei einem Bier noch einen kleinen Schnack, ganz überraschend hat er kurzfristig Crew an Bord bekommen – Otto. Otto hatte als Smutje auf dem Projektschiff „Highseas-Highschool“ angeheuert sich aber dann mit den Lehrkräften in die Wolle bekommen, so hat er kurzerhand seine Sachen gepackt und fährt nun mit Victor nach Teneriffa.
Mit den beiden hatte ich auch während der Fahrt nach Lagos immer mal wieder Funkkontakt.

Wie nicht anders erwartet und angekündigt, stand der Wind zunächst schlecht, ohne Motor wäre das Stück bis zum ersten Kap eine langwierige Schwachwindkreuz gegen eine wirklich hohe Welle geworden. So hat mein Keilriemenkiller mal wieder seine Qualitäten beweisen dürfen und uns zügig in die richtige Startposition gebracht. Trotz des Diesellärms schwamm einige Minuten ein halbwüchsiger Mondfisch neben uns her.
Es folgte ein 30 Meilen Amwindkurs fast bis zum Ende der Welt – Kap Finisterre.
Es ist schon eigenartig, offensichtlich beansprucht jede der alten Seefahrtsnationen das Ende der Welt für sich, die Briten mit Lands End, die Franzosen haben die Region (in der Bretagne) Finisterre, die Spanier das gerade gerundete Kap und ich meine die Portugiesen haben auch eine entsprechende Bezeichnung für das Kap Sagres. Das haben w ir Deutschen mal wieder davon, dass wir damals als es galt die Welt zu entdecken, uns eher mit zentraleuröpäischer Kleinstaaterei beschäftigten. Andere haben das Ende der Welt und wir eine Menge Orte die man bestenfalls als Arsch der Welt bezeichnen könnte.
Schon vor dem Kap begann der, zunächst eher schwache Wind zuzulegen und dreht auch langsam in den nördlichen Sektor.
Die Rauschefahrt wurde schneller und schneller und gipfelte in einem 10 Knoten Ritt unter Schmetterling mit vollem Groß und Genua. Als die Gioia nun begann sich fast so zu benehmen wie früher die TurTur, war mir das ein Zeichen die Segelfäche zu verkleinern.
In die Nacht ging es dann nur noch unter der Genua was auch vollkommen reichte, denn inzwischen blies der Wind mit gut und gerne 25 Knoten, die wirklich riesigen Wellen waren von Gischt gekrönt und ich war nur froh, dass das alles genau von achtern kam. So war es dann eine bequeme Nacht, auch wenn sie zum Teil extrem nass war. Wie die ganze Etappe ein Vorgeschmack auf die Passatzone war, kräftiger Rückenwind und immer wieder Squalls mit eimerweise Regen und knackigen Böen.
Erst am Samstag Vormittag klarte es deutlich auf und die Schauer blieben aus, der Wind pustete allerdings in gewohnter Stärke und brachte uns mit 6-8 Knoten in Richtung Süden.
Und man merkt auch, dass wir mittlerweile schon ein paar meilen in Richtung Äquator gut gemacht haben, wäre es nicht so windig, hätte man fast schon über kurze Hosen nachdenken können.
Auch ohne Shorts habe ich die Sonne genossen, im Cockpit gelesen und geschlafen, den Wellen zugeschaut und das Leben genossen.
Gegen Mittag habe ich mich dann endlich aufgerafft und wollte die Genua mit dem Spibaum ausbaumen um zusätzlich noch die Stagfock setzen zu können.
Dabei musste ich leider feststellen, das mir ein paar Bolzen aus der Genua-Rollreffanlage geflogen sind und nun die Trommel frei auf dem Profil dreht.
Erste Reparaturversuche scheiterten und wurden dann auch aufgegeben, schließlich soll der Wind ja bis Montag Abend so durchstehen und dann sind wir hoffentlich in Lagos und können dort weitersehen.
Da ein Unglück ja selten alleine kommt, gab es zur lahm gelegten Rollreffanlage gleich noch eins obendrauf. Offensichtlich habe ich als ich den Spibaum wieder in seine Halterung plaziert habe einen Fehler begangen, ich verstehe es zwar nicht so ganz, denn ich habe extra nochmal dran gerüttelt, aber als ich wenig später eine Halse gefahren bin (bisher hatte ich die Genua dafür immer kurz weggerollt, schon wegen des Kutterstages) hat mir irgendwie die flatternde Genua den Spibaum aus seiner Halterung gerissen und dem Ozean übergeben.
Da stand ich nun im Cockpit und sah den schönen, wenn auch recht schweren Spibaum an mir vorüber treiben, kurz hab ich noch überlegt ein Spibaum über Bord Mannöver zu fahren aber gute 25 Knoten Wind und eine satte fünf Meter Welle von achtern hätten einen solchen Versuch wohl schon im Ansatz zum scheitern verurteilt, war ich doch nun auch nicht mehr in der Lage die Genua schnell weg zu rollen. Vermutlich hätte ich der Gioia bei einer Rettungsaktion nur den Rumpf zerkratzt. Schade drum, ärgerlich, vierzig Jahre hat es keiner geschafft den Baum über Bord zu geben und dann kam ich... Naja, ielleicht finde ich ja irgendwo einen schönen leichten Carbonbaum als Ersatz.
So wird mein Aufenthalt in Lagos wohl mal wieder von Hausmeistertätigkeiten geprägt sein, Rollreffanlage reparieren, Spibaum organisieren (vielleicht in Portimao), weiterhin die Ursache für Störung der nun immer weniger benötigten Heizung suchen und dann habe ich mir noch vorgenommen die Kette zwischen dem Antrieb des Autopiloten und der Ruderanlage zu tauschen, trotz vieler Bemühungen sind einige der Kettenglieder nachwievor sehr schwergängig und das könnte für zweierlei ein Grund sein, zum einen für den recht hohen Stromverbrauch des elektrischen Piloten und zum anderen auch für die unbefriedigende Funktion der Aries Windsteueranlage.
Im Verlauf des Samstages wurde es immer freundlicher und wärmer, der Wind ließ ein klein wenig nach, wehte aber weiterhin beständig aus Nord.
So blieb es auch bis kurz vor dem Cabo de Sao Vicente sommerlich mit frischem Nordwind, die Nächte sternenklar und vom (fast) Vollmond beleuchtet.
Am Sonntag Nachmittag passierten wir die Mündung des Rio Tejo und in der frühen Abenddämmerung zeigte sich der Lichtschein Lissabons am östlichen Himmel.
Im Verlauf der Nacht zum Montag wurde der Wind immer schwächer und begann wieder ganz leicht nach West zu drehen und kündigte so das vorläufige Ende dieser Phase des stetigen Nordwinds an. Gut dass wir diese Phase komplett nutzen konnten und nun schon kurz vor dem Ziel stehen.
Zwischen Lissabon schon Sagres kreuzte kein anderes Schiff unseren Kurs, weder Berufsschifffahrt noch Fischer, das AIS hat nicht einmal seinen Warnton hören lassen und so konnte ich immer wieder kurze (und auch eine längere) Schlafpausen einlegen, ein Video gucken und eine Menge schreiben.
Beim wunderschönen Sonnenaufgang am Montag standen wir dann auch kurz vor dem Cabo de Sao Vicente.

Die letzten Meilen zogen sich recht lange hin, der Wind war inzwischen auf 2-3 Bft zurück gegangen und kam, wie in den letzten 60 Stunden, genau von achtern. Letztendlich half dann doch auch wieder der Diesel das Kap zu erreichen.
Hinterm Kap frischte es wieder auf, so dass ich unter Vollzeug bis zur Hafenmole fahren konnte.
Im Hafen wartete Krischan bereits mit seinen zwei Wonneproppen und kurze Zeit später kam auch Freundin Bine mit dem zehn Tage alten Momme mit dazu, so war ich tatsächlich Mommes erster Besucher aus Deutschland, zum Glück hatte ich in La Coruna schon eine kleine Spieluhr besorgt...

Und der Besuch an Bord wurde noch mehr, die Segler Victor und Otto von der „Sehnsucht“ kamen auch vorbei, so tranken wir das eine oder andere Bier, sponnen ein wenig Seemannsgarn und am Ende wurde sogar noch zusammen gekocht.
Irgendwann machten sich aber doch die vergangenen drei Tage bemerkbar und nun zieht es mich massiv in die Koje. Gute Nacht.