Mittwoch, 9. November 2011

Spirituelle Reisegeschwindigkeit


Bei einer Flugreise oder einer schnellen Autofahrt redet man ja fast schon sprichwörtlich davon, dass der Körper schneller ankäme als die Seele, man bräuchte erstmal eine gewisse Zeit bis man sich wirklich angekommen fühlt.
Nun könnte man meinen, dass eine Segelreise, inbegriffenen der totalen „Entschleunigung“ doch genau Gegenteiliges bewirken könnte und wenn dann noch alleine gesegelt wird, bei aller Einsamkeit und „Einkehr in sich selbst“, dieser Effekt sich noch weiter verstärken könnte.
Nicht, dass die Seele schon vor dem Körper ankäme (und man deshalb keine Hafenhandbücher mehr bräuchte) aber ein gewisser Gleichtakt wäre doch zu erwarten.

Das scheint alles spiritueller Humburg zu sein.

Nach gut drei Tagen auf See bin ich nun knapp drei Tage hier in Lagos und merke wie ich gerade erst beginne wirklich anzukommen.
Nachdem der Montag mit einem voll besetztem Cockpit und vielen Geschichten schnell zu Ende ging und der gestrige Dienstag mit kleinen Basteleien, dem Aufklaren der Gioia, einem Schnack mit Krischan und Otto und einem kurzem Abendbrot fast unbemerkt dahin floss, komme ich erst jetzt, am Mittwoch Nachmittag langsam hier in Lagos an.
Erst heute ist die Segelordnung an Bord der Gioia langsam wieder der Alltagsordnung gewichen und ich komme wirklich mal vom Steg runter, erkunde die Umgebung, sehe was von der Stadt und mache die nötigsten Einkäufe (u.a. ein Korkenzieher, meine beiden alten müssen, genau wie der Nussknacker irgendwann in die falsche Kiste gewandert zu sein). Auch gedanklich bin noch da draussen.
Erinnere ich mich an die vielen besonderen Momente der vergangenen Tage auf See, an die Wellen, die Wolken, den Mond, die Sonnenauf- und Untergänge aber auch an die ruppigen Momente, angeleint hinterm Ruder eine heftige Schauerböe durchstehen, auf allen Vieren am Bug mit der Rollanlage ringen, und an den gnadenlos vor meinen Bug dampfenden Fischer.
Das waren alles Momente von fast unbeschreibbarer Intensität.
Entgegen aller Erwartung juckt es mich schon wieder, ich will weiter, wieder raus, endlich weg vom Kontinentalschelf, weg von der Küstenfischerei, weg von der, meinen Radarwarner lahmlegenden Radarüberwachung, weg von den Schifffahrtslinien.
Aber ich werde mich zur Geduld zwingen, verkneife mir mehr als einmal am Tag die Windvorhersagen zu studieren und die Kursverläufe nach Madeira und La Graciosa zu berechnen.
Erstmal bleib ich bis Montag hier und dann guck ich mal - es sei denn, da öffnet sich plötzlich ein schönes Wetterfenster...