Freitag, 25. November 2011

Von Lagos / Algarve nach La Graciosa

Sonntag, 20.11.2011 bis Mittwoch 23.11.2011

Nachdem alle Ersatzteile besorgt, die Proviantlasten aufgefüllt, die Kater auskuriert und sowohl die Gioia und die Taina als auch ihre Eigner vorbereitet waren, ging es am Sonntag dann endlich zum längsten bisherigen Törnabschnitt los. Im Dauerregen verließ die Gioia den Hafen von Lagos und die Taina kam, mangels Motor unter Segeln hinterher.
Draussen erwarteten uns zunächst leichte nördliche Winde und eine Dühnung die jegliche Gedanken an irgendwelche Schleppaktionen im Ansatz zunichte machte.
Bei diesen Leichtwindbedingungen wäre die Gioia unter Vollzeug der Taina schnell weggesegelt, daher rollte ich die Genua weg und liess Krischan damit den Vortritt.
Mit jedem Meter den wir uns von der Küste entfernten nahm der Wind ein wenig zu und damit auch die Geschwindigkeit der beiden so unterschiedlichen Boote.
Erst nachdem ich die Genua wieder gesetzt hatte, konnte ich mit Krischan mithalten und im Parallelflug näherten wir uns dem Verkehrstrennungsgebiet vor Kap San Vicente.
Schon im Vorwege war vereinbart, dass wir dieses Gebiet gemeinsam queren wollten und Krischan an den Errungenschaften der modernen Seefahrt wie Radar, AIS und Seefunk teilhaben konnte.
So konnte ich Krischan auch ein paar Male beruhigen, „ne, keine Sorge, der Frachter geht ne halbe Meile hinter dir durch“ oder „ jou, mit dem Tanker hab ich gerade geschnackt, der hat dich gesehen“ und beide Boote konnten halbwegs entspannt in die erste Nacht hinnein segeln.
Dank Autopilot konnte ich mir schon frühzeitig was zu Essen machen, Krischan band zum Abend ein Reff ein um Ruhe zum Kochen zu haben. Wir fuhren noch ein Stückchen in Rufweite um uns dann eine gute Reise zu wünschen und uns zu verabschieden. Es wäre sinnlos gewesen die ganze Strecke nebeneinander zu fahren, dafür sind die Boote als auch die Ausrüstungen zu unterschiedlich und nicht zuletzt birgt soeine Flotillenfahrt für Einhandsegler auch immer eine Kollisionsgefahr.
Während ich die Gioia unter Autopilot großteils vom Naviplatz aus fahre, sitzt Krischan durchgehend an der Pinne. In meinen Schlafpausen hält die Gioia weiter Kurs und Geschwindigkeit während Radar und AIS Wache gehen.
Krischan kann nur in den Schlafsack wenn er die Segel birgt und die Taina treiben läßt.
So zog ich also unter Vollzeug langsam davon, über Funk hielten wir noch ein wenig Kontakt aber auch der riss im Laufe der Nacht irgendwann ab. Die Reichweite von UKW Funk ist eben begrenzt, besonders wenn eine Station nur über ein Handfunkgerät verfügt.
An Schlaf war in der ersten Nacht für mich nicht wirklich zu denken, die Anspannung verdrängt die nötige Müdigkeit, trotzdem habe ich es immer wieder versucht, mich in die Koje gepackt, den Wecker auf 30 Minuten gestellt und zumindest etwas geruht.
Der Wind nahm, wie angekündigt, beständig zu und erreichte im Laufe der Nacht eine Stärke von sechs Beaufort, in Böen auch darüber, entsprechend hoch waren auch die Wellen.
Es bleibt immer schwer einzuschätzen wie hoch diese Wasserberge nun wirklich sind, wenn man aber im Cockpit der Gioia stehend, im Wellental deutlich nach oben schauen muss um den Sternenhimmel zu sehen, kann man wohl von vier bis fünf Metern zwischen Kamm und tal ausgehen.
Zunächst genoss ich es die Gioia bei diesem schon recht kräftigen, achterlichen Wind unter Vollzeug so richtig laufen zu lassen. Beständig über acht Koten, zeitweise neun und in Spitzen über zehn, rauschendes Kielwasser aber auch immer wieder viel Gischt in der Luft. Der Aufenthalt im Cockpit erfordert dann schon die komplette Seegardrobe, von den Stiefeln bis zum Südwester.
Wiedermal hat mich der Spass an der Rauschefahrt (und sicherlich auch meine Trägheit - „wird bestimmt gleich wieder weniger“) den richtigen Reffzeitpunkt verpassen lassen.
Erst als ich gerade über Funk meinen Kurs mit einem passierenden Frachter abgesprochen hatte und mein Autopilot direkt im Anschluss eine Patenthalse fuhr (die Jungs auf der Brücke müssen auch gedacht haben, was für ein Wafi (Wind assisted fucking Idiot) da unten, erst sagen wir zu unseren Kurs zu ändern und dann fährt der wilde Kreise – mir war es auch schrecklich peinlich und ich habe im Anschluss ein leises Sorry ins Mikro gehaucht) gab es kein wenn und aber mehr, ich musste ran.
Zunächst mal das Schlamassel der Patenthalse beseitigen, Bullenstander fieren und so den Großbaum schifften, die back stehende Genua auf die richtige Seite nehmen und dicht holen.
Dann schnell ans Ruder und die Gioia wieder halbwegs auf Kurs bringen und feststellen, dass der Zeitpunkt für die Halse garnicht so schlecht war und Steuerbordbug auch zielführend ist.
Aber auch auf dem neuen Bug trug die Gioia noch immer zuviel Tuch, also Genua einrollen, Backstag riggen, Kutterfock setzen und ein Reff ins Groß binden.
Da auf der Gioia keinerlei Fallen oder Reffleinen ins Cockpit geführt sind, muss all dies am Mast erledigt werden. Also alle Ölzeugmanschetten dicht gemacht, die Rettungsweste mit dem Lifelines versehen und angelegt, den Notsender eingesteckt, Kapuze auf, die Lifelines eingepickt und auf allen vieren raus aus dem Cockpit. Trotz der beständigen äußeren Wasserkühlung, und absolut dichtem Ölzeug ist man nach einer solchen Aktion klitschnass. Wer behauptet auch, dass Hochseesegeln die reine Erholung wäre?
Kurze Zeit später, der Wind nahm weiter zu, die ganze Aktion nochmal und das Groß ganz geborgen, weiter ging es nur unter Fock.
Trockengelegt, mit einem heissen Tee und einem Buch habe ich die restliche Nacht ohne besondere Vorkommnisse eingekeilt im Salon verbracht.
Der Montag begann mit einem inzwischen leider fast alltäglichen, atemberaubenden Sonnenaufgang. Allein diese Momente entschädigen mehrfach alle Strapazen.
So wunderschön der beginnende Tag auch ist, alleine dadurch werden nicht nennenswert neue Kräfte freigesetzt. Wie bisher immer war der zweite Tag auf See der härteste, ich bin übermüdet, geschafft, noch nicht endgültig an die Schaukelei gewöhnt und verliere die Lust.
Irgendwie ist dieses Tief aber auch notwendig um die Schlafpausen richtig zu nutzen.
Erst wenn man richtig groggy ist, kommt man auch in 30 Minuten in eine erholsameTiefschlafphase und schöpft so neue Kraft. Einige dieser Powernaps (so nennt man die Kurzschlafphasen) brauchte ich auch um mich aufzuraffen um die Fock gegen die Genua zu wechseln, schliesslich wollte ich mich an mein berechneten Kursverlauf halten und dieser sagte eindeutig, dass ich jetzt sieben Knoten und nicht nur fünfeinhalb laufen sollte.
Mit viel Ruhe, vielen Schlafpausen, viel Lesen und sogar einem Videoabend kam ich im Laufe des Montags langsam wieder in einen Normalzustand, der es mir erlauben sollte den Dienstag so richtig zu geniessen.
Auch wenn immer mal wieder Wolkenfelder durchzogen, die manchmal Regen aber immer kräftige Böen mit sich brachten, war das Wetter richtig angenehm. Die Sonne wärmte vom blauen Himmel, so dass ich fast den ganzen Tag ausschliesslich in langer Unterwäsche gesegelt bin.
Da war es dann fast schon wieder schade, dass mein Ziel in nun absehbarer Entfernung lag.
Der Schiffsverkehr beschränkte sich auf ein Minimum und ich konnte die Gioia einfach laufen lassen. Während ich mich bisher eher westlich des Generalkurses gehalten habe, konnte ich ab Dienstag Mittag mit dem langsam nordöstlich drehenden Wind direkten Zielkurs anlegen.
Immer mehr zeigte sich, dass ich mich ranhalten musste wenn ich noch vor der Abenddämmerung am Mittwoch La Graciosa erreichen wollte.
Der Wind blies weiterhin in Stärke sechs und die See war so wie im englischen Wetterbericht beschrieben, „pretty rough“.
Trotzdem machte ich mich noch daran meinen Keilriemen zu spannen, was eine durchaus interessante Tätigkeit ist, wenn jedes Werkzeug einzelnd gesichert werden will und man sich selbst irgendwo einspannen muss um nicht von back- nach steuerbord zu rutschen.
Die Spannung des Keilriemens war nötig, nicht weil ich die Maschine zum Antrieb brauchte – Wind war nun wahrlich genug, sondern weil das Problem mit dem Autopiloten durch die neue Kette leider nicht behoben wurde.
Noch immer verhindert der elektrische Autopilot ein sauberes Arbeiten der Windssteueranlage und so kommt die Bordenergiebilanz durch den dauerhaften Betrieb des Autopiloten aus dem Gleichgewicht und erfordert von Zeit zu Zeit den Einsatz des Motors zum Aufladen der Batterie.
Über kurz oder lang komme ich um den Austausch des Autopilotenantriebs nicht herum, es stellt sich nur noch die Frage ob es wieder ein elektrischer Linearantrieb wird oder ob ich der Gioia einen hydraulischen AP Antrieb gönne. Ob ich den Einbau mit Bordmitteln hinbekomme, bezweifle ich noch, vermutlich wird dafür professionelle Hilfe nötig.
Die letzten hundert Seemeilen waren dann wie eine wahrlich lange Zielgerade bei einem Autorennen, es ist schon erstaunlich wie sich die Dimensionen verschieben, auf der Ostsee sind sechzig Meilen ein ordentlicher Törn, hier beginne ich bei dieser Distanz darüber nach zu denken, wie ich den Anleger fahre, wann ich Fender und Festmacher vorbereite und schmiede Pläne für die ersten Stunden im Hafen. Eine leckere Pizza und ein kaltes Bier in dem kleinen Restaurant links den Strand runter...
Doch ab Mittag lies der Wind nach und direkt vor dem Wind erreichten wir nur noch selten sechs Knoten. Die Nacht beigedreht vor La Graciosa verbringen oder Maschine an und Pizza und Bier?
Diesel war noch genug im Tank und kostet auf den Kanaren auch nur 90 Cents den Liter - die fünfzehn Euro waren mir meine Pizzafantasien wert und so schob in den letzten Stunden zusätzlich zur Genua auch noch der Motor mit.
Wie kalkuliert erreichte ich am Mittwoch kurz vor Sonnenuntergang den Hafen, nicht ganz ohne Stress, die Rollleine der vermaledeiten Rollgenuaanlage hatte sich vertörnt und verhinderte das einfache Einrollen des großen Vorsegels. So musste ich im scheinbar engen Kanal zwischen Lanzarote und La Graciosa ( tatsächlich liegen die Inseln doch zwei Meilen auseinander, die sicher zweihundert Meter hohe Steilküste vermittelt aber einen anderen Eindruck) die Genua klassisch bergen und an die Reling bändseln.
Den Hafen kenne ich ja schon von meiner letzten Reise und so hab ich noch weit vor der Einfahrt genau geplant wo ich wie festmachen könnte, Windrichtung, Gioias Schokoladenseite und Drehkreis aber auch den Blick zur Einfahrt um Krischan (den ich jetzt nur noch den Seehelden nennen werde) gebührend empfangen zu können einkalkuliert.
Am Anfang des Blogs hab ich es schonmal geschrieben, Planung ist der Übergang von Fehleinschätzung zum Irrtum. Auch wenn ich die Pizza fast schon riechen, das Bier fast schon schmecken konnte, der Hafenmeister machte alle meine Planungen zunichte.
Mit Trillerpfeife und schwenkenden Armen machte er mir deutlich, dass der Hafen für heute voll wäre und ich es morgen wieder versuchen könnte. Na super, da hetze ich die Gioia fast 600 Meilen weit und werde zwanzig Meter vor dem ersehnten Steg ausgebremst.
Mir blieb nur weiter nach Lanzarote zu segeln, was nicht in Frage kam, schließlich bin ich hier mit Krischan verabredet oder die direkt neben dem Hafen gelegene Ankerbucht. Auch aufs Ankern war ich nicht wirklich erpicht, ich habe nur wenig Ankererfahrung und hätte die erste Ankernacht des Törns gerne besser vorbereitet. Aber ich hatte keine andere Wahl, wieder raus aus dem Hafen, weg von Pizza und Bier, die Seekarte studiert, den Hauptanker vorbereitet (garnicht so einfach bei einem Hauptschalter und zwei Sicherungen die richtige Kombination zu finden) und eine Lücke zwischen den anderen Ankerliegern gesucht. Auf acht Metern Tiefe hab ich ihn dann fallen lassen, vorsichtig eingefahren und an beiden GPS Geräten den Ankeralarm aktiviert. Aus Unsicherheit habe ich dann erstmal Freund Olli angerufen und mir mein Manöver aus erfahrenem Munde bestätigen lassen. Das war schön, anzukommen und nach fast vier Tagen wortwörtlicher Funkstille über eine Stunde ausgiebig zu schnacken.
Statt Pizza und Bier gab es dann Rinderroulade und ein Gläschen Roten.
Gegen elf Uhr ging es dann, ohne wirklich müde zu sein, in die Koje.
Doch schon zwei Stunden später, es pfiff gerade gehörig in den Wanten und die Flut hatte ihren Höhepunkt erreicht, riss mich der schrille Alarmton des GPS aus den Träumen.
Mit erstaunlicher Gelassenheit verschaffte ich mir einen Überblick und musste feststellen, dass wir tatsächlich auf Drift waren, ging erstmal auf den Pott, zog mir mein Ölzeug über, startete den Motor und ging Ankerauf. Auf der Suche nach einem besseren, flacheren und weniger ufernahen Ankerplatz durchkreuzte ich bei absoluter Dunkelheit im Schneckentempo erfolglos die Bucht, immer wieder unbeleuchteten Nachbarn ausweichend, nur um letztlich wieder zum alten Platz zurück zu kehren (allein für eine solche Aktion ist ein Kartenplotter Gold Wert!).
Diesmal ließ ich die gesamten 50 (oder sinds 60?) Meter Kette raus und gab nochmal kräftig rückwärts Schub, reaktivierte den Alarm und ging wieder in die Koje um die folgenden Stunden ungestört, tief und fest schlafen zu können.
Nach dem Frühstück im Cockpit, trotz frischem Wind reicht hier ein Tshirt locker aus, habe ich ein wenig die Gioia aufgeklart und dabei beobachtet wie drei Yachten den Hafen verliessen.
Die Chance wollte ich nutzen und ging Ankerauf, nur um im Hafen wieder den bekannten, pfeifenden, armeschwenkenden Hafenmeister anzutreffen. Dann eben nicht.
Ich suchte mir einen schönen Platz im Ankerfeld, gleich westlich der Einfahrt auf fünf Metern Tiefe, steckte reichlich Kette und machte es mir an Bord gemütlich.
Natürlich war auch noch das eine oder andere zu tun, z.B. die Genua zusammenlegen und in den Sack bekommen (warum sind solche Verpackungen immer so klein, wie soll ich denn alleine an Bord bei ordentlich Wind das riesige Tuch so klein verpacken, dass es in den Sack passt?)
Irgendwie hat es dann aber doch, zumindest halbwegs, geklappt.
Am Nachmittag habe ich dann noch mein Dinghi aufgeblasen und eine kleine Jungfernfahrt um die Gioia gemacht, allerdings mit Rudern – für den Außenborder fehlt mir das Benzin.
So konnte ich mir dann auch den Anker mal von oben angucken, rund sechs Meter Wassertiefe und klare Sicht zum Grund...
Für einen Landausflug hatte ich noch keine Veranlassung, ich fühl mich auf der Gioia wohl und hab hier alles was ich brauche – abgesehen von einer vernünftigen, bezahlbaren Internetverbindung, dieser Text geht über sündhaft teures Datenroaming online.
Morgen kommt wohl Tagesbesuch aus Fehmarn und vielleicht auch Krischan, denn auf den hab ich heute vergeblich gewartet (was mich aber nicht beunruhigt, er selbst hat eine Woche für den Törn eingeplant).
In den vergangenen Tagen habe ich gute 580 Seemeilen in 79 Stunden gesegelt, das beste Etmal lag bei knapp unter 200 Meilen. Die Maschine lief etwa 15 Stunden, wobei 11 Stunden davon nur dem Laden der Batterien dienten, vier Stunden sorgte der Motor für zusätzlichen Vortrieb.
Von Vollzeug bis segeln nur unter Fock waren alle Kombinationen dabei, die Höchstgeschwindigkeit lag kurzfristig bei elf Knoten (die Welle runter).
Abgesehen von einem angescheuerten Großfall und einem über Bord gegangenen Aschenbecher gab es keine Schäden oder Verluste.
Für Timo: Aufgrund der rauhen Bedingungen habe ich keine Angelversuche gestartet, ich hätte auch nicht gewußt wie ich ggfs den Fang an Bord hätte bringen sollen.
Vielen Dank für die beruhigende Wetter SMS.