Sonntag, 23. Oktober 2011

Richtung Bretagne


Zweite Etappe von Cherbourg über Guernsey nach Camaret/Brest, 21./ 22.10.2011
Nachdem Olli von Bord war habe ich mich erstmal neu eingerichtet, es sind ja nun die ersten Tage an denen ich in meinem neuen Zuhause alleine wohne. Also Sachen sortiert, umgestaut, abgewaschen (vor allem ein Teil meines Feinschmecker Proviants, der Einweckgläser waren leider schlecht geworden und stanken erbärmlich, vor allem Hack, Rindergeschnetzeltes und Hühnerbrust scheinen nicht wirklich zum Einkochen geeignet zu sein, die Ausfallquote lag bei fast 100%. Die restlichen Gläser mit Rindsrouladen, Gulasch, Suppen schmecken aber hervorragend – ein großes Dankeschön nochmal an Herrn Drews aus Hechthausen.
Aber nicht nur unter Deck gab es einiges zu tun, auch an Deck. So habe ich einige kleine Leckstellen an den Decksdurchführung der Stagen und Wanten neu abgedichtet, die Befestigung der Solarpanele optimiert und den Keilriemen getauscht. Mein Motor heißt ab jetzt Keilriemenkiller, deren starke Abnutzung ist aber auch kein Wunder, schließlich muss die Lichtmaschine mit Hochleistungsregler beim Laden der Batterien eine Menge leisten.
Am Donnerstag Abend habe ich dann noch letzte Wetterberichte eingeholt und ausgiebig den Reeds studiert, der Reeds ist die englische Seglerbibel, darin ist einfach alles zu finden, Hafenpläne, Strömungskarten, Tidenkalender.
Am Freitag mit dem allerersten Tageslicht gings dann auf meinen ersten Einhandtörn mit der Gioia.
Allerdings wehte es zunächst nicht wie angekündigt aus SO sondern aus SW, was mich etwas beunruhigte, lag mein Ziel doch in eben dieser Richtung.
Zunächst ging es aber Richtung WNW und so konnte ich die Gioia mit einem Schrick in den Schoten richtig laufen lassen. Vorbei an der Wiederaufbereitungsanlage La Hague ging es zum gleichnamigen Kap. Dort begann auch der Wind langsam zu drehen und so konnte ich die Kanalinsel Guernsey mit nur wenigen Kreuzschlägen erreichen. Gezeiten ansich sind ja für den gemeinen Ostseesegler schon etwas unheimliges, kommen dann aber noch geografische Besonderheiten dazu wird es ungemütlich. Die Wellen werden kürzer und höher, kommen aus allen Richtungen gleichzeitig und der Kompasskurs entfernt sich zusehends vom Kurs über Grund.
Im Nachhinein war es aber dennoch kein Problem die Gioia sicher an die Bunkerpier von St. Peters Port zu bringen. Mit 250 Litern frischem Diesel im Tank und sämtlichen Bargelds beraubt (irgendwie verstand sich die Kartenstation der Tankstelle nicht mit meinen Kreditkarten) ging es schon eine gute Stunde später wieder raus. Es ist schade, an so vielen schönen Ecken einfach vorbei zu fahren aber der drohende Herbst gebietet einfach jede Minute passenden Windes zu nutzen und so bleibt mir nur, mir fest vorzunehmen auf dem Rückweg hier mehr Zeit einzuplanen.


Die von der untergehenden Sonne herrlich beleuchtete Kanalinsel im Rücken ging es in die erste Nacht. Halbwinds unter Genua und vollem Groß rauschten wir mit 7-9 Knoten durch die Dunkelheit und ich machte mir erstmal was zu Essen: Rinderroularde mit Nudeln. Hervorragend.
Eine wichtige Regel beim Einhand-Langstreckensegeln lautet: Schlaf wenn du kannst!
So hatte ich es auch geplant. Radaralarm auf 10 Meilen eingestellt, den AIS Alarm aktiviert.
Dumm nur, dass von hinten der 20m Segler Blue Marlin aufkam und es wohl auf eine Regatta abgesehen hatte, zumindest kam er nicht nur (sehr) langsam näher sondern hielt auch noch genau auf mein Heck zu. Radar und AIS konnten ja nicht wissen, dass vermutlich nur sportlicher Ehrgeiz dahinter steckte und piepten munter drauf los. Somit erreichte ich die von mir im Wecker eingestellten 25 Minuten nicht ein einziges Mal. Stunden später zwang mich die Blue Marlin dann sogar dauerhaft ins Cockpit. Es war wohl die Neugierde die sie so dicht an mich heran geführt hatte, in nur 150m Entfernung passierte sie mich schliesslich ohne vorher auf meine Funksprüche reagiert zu haben (ich wollte ja nur hören, dass sie mich im Blick haben, um so beruhigt ein Nickerchen machen zu können). Kaum war die Regatta vorbei, da zog es auch schon die bretonischen Fischer aus ihren Häfen und wieder hatten AIS und Radar allen Grund zum tröten.
Kurz vor der Dämmerung folgte dann noch ein Funkplausch mit einer netten Dame der französischen Küstenwache, die nur mal hören wollte wer dort durch die Nacht rauschte.
Vorher hatte ich schon gehört, dass sie auch die Blue Marlin gerufen hatte, ebenso erfolglos wie ich zuvor. Apropos Küstenwache. Die nehmen ihre Aufgabe hier sehr genau, schon in Cherbourg hatte ich ein kleines, freundliches Rollkommando an Bord. Waffen, Drogen, Tiere, Ausgangshafen, Zielhafen, Personen an Bord? Klar, die Dokumente wollten ausgefüllt werden aber vielmehr interessierte sie das Boot und meine Reise. Ich frag mich nur wo all diese gesammelten Daten bleiben und ob jemals wieder jemand einen Blick darauf werfen wird.
Im Morgengrauen näherte ich mich dann auch langsam der NW Spitze der Bretagne und der Ile Quessant (oder Ushant, wie die Engländer sagen) und wurde auch gleich von einer großen Horde Delphinen begrüßt, die munter in der Bugwelle der Gioia umherschossen. Aber wie so häufig sollte das letzte Stück eines Törns das härteste werden. Die Passage zwischen Quessant und dem Festland ist mit Felsen gespickt, das Kap lässt den Wind stärker werden, die Tide lässt das Wasser nur so kochen, eine Stunde lang konnte ich die Gioia nur mit Schwerstarbeit am Ruder auf Kurs halten.


Und kaum lag die Passage hinter mir, zeigte die Biskaya ihre Krallen.
Die kräftigen SO Winde zwangen mich hart an den Wind, ansich hätte ich auf die Fock wechseln müssen aber für die 10 Meilen bis ich in die Bucht von Brest abbiegen konnte fehlte mir dafür der Antrieb. So versuchte ich es zunächst mit leicht gereffter Genua aber die recht ordentlichen Wellen schlugen immer wieder ins Unterliek. Also nahm ich die Segel ganz weg und motorte bis zur Wendemarke. Dort rollte ich die Genua wieder aus und segelte die letzten 15 Meilen bis Camaret in der Bucht von Brest im Ostseerentnerstil.
Das Anlegemanöver lief leider nur suboptimal, der Weg zum angepeilten Liegeplatz wurde mir von einem auslaufenden Segelboot versperrt, so musste ich an den nächsten, noch engeren Steg ausweichen und dort drehen. Der starke Schraubeneffekt gestaltet solche Manöver mit der Gioia auf engen Raum recht kompliziert und der inzwischen mit sicherlich sechs Beaufort wehende Seitenwind tat noch das seinige dazu.
Elegant war dieser Anleger sicherlich nicht aber letztlich zählt ja das Ergebnis, ich liege ohne Schäden am Steg, werde jetzt zwar, anders als ursprünglich geplant vom Wind auf den Steg gedrückt aber dafür gibt es ja Fender. Übung macht ja bekanntlich Meister..
Hier in Camaret werde ich nun wohl einige Tage auf passende Winde für meine Biskayaquerung warten müssen, wie es scheint ist es nicht der schlechteste Ort dafür.
Der Reeds (Seglerbibel) war in der Beschreibung der Sanitäranlagen nicht ganz eindeutig, dort stand: Underground! Zum Glück war damit nicht der Zustand sondern tatsächlich die Lage gemeint, die Duschen befinden sich unterhalb eines historischen Gemäuers.
Auch nach elf Stunden Tiefschlaf war ich heute früh noch ganz schön gerädert, langsam erhole ich mich und werde gleich mal einen Gang in den Ort machen.