Sonntag, 30. Oktober 2011

Biskaya

Camaret-sur-Mer nach La Coruna
27.10.2011 bis 29.10.2011
Ein bisschen mulmig war mir ja schon zumute als es am Donnerstag um halb neun dann tatsächlich los ging. Vor mir lag die Biskaya, jene verrufene Atlantikbucht zwischen Frankreich und Spanien bei deren bloßen Namensnennung dem durchschnittlichen Ostseesegler schon die Ohren schlackern, mich selber will ich da garnicht ausnehmen. Ich hatte zwar, bei meiner Teilnahme an der Mini-Fastnet-Regatta 2006 schon einmal das Vergnügen hier zu segeln, allerdings war das im Juni und jetzt haben wir Oktober, Ende Oktober. Da drohen die fürchterlichsten Herbststürme, haushohe, chaotisch brechende Wellen und überhaupt der tagtägliche Weltuntergang.
Bei mir ging es aber erstmal ganz sutsche los, um sechs aufgestanden, erstmal meinen Kakao schlürfen, die aktuellen Wetterinformationen checken, mich selbst und die Gioia vorbereiten. Während dessen verliessen schon zwei belgische Boote den Hafen, allerdings in die andere Richtung nach le Havre zum Start der Transat Jaques Vabre.
Ich selbst liess mir Zeit, Tide hin oder her, bis die Sonne aufgegangen war und schmiss erst dann die Leinen los. Ich muss gestehen, dass mein Schlafrhythmus sich bereits deutlich verstellt hat und so war ich doch erstaunt, dass die Sonne inzwischen auch unter die Langschläfer gegangen ist – es ist eben schon Herbst. Und ich habe mir die Biskaya vorgenommen, einhand.
Wie bestellt, hörte es punktlich zum Auslaufen auf zu regnen und sogar die Sonne guckte zwischen den Wolken kurz hervor.
Vorm Hafen habe ich dann das Groß gesetzt und die Genua ausgerollt, hatte aber kaum genug Wind um voran zu kommen. Gerade waren die Segel oben, bemerkte ich, dass ich vergessen hatte das Pendelruder meiner Aries-Windsteueranlage abzuklappen. Kurz darauf hing ich angeleint hinterm Heckkorb und versuchte vergeblich dies nachzuholen. So einfach wie im Prospekt „schnell den Bootshaken zur Hand, das Pendelruder runter drücken und den Feststellbügel anziehen“ ist es beileibe nicht. Da musste ich an mein langes Telefonat mit Peter Förthmann, dem Hersteller des Alternativproduktes „Windpilot“ denken, genau diese Situation hat er mir beschrieben und er hatte Recht, sind die Segel erstmal oben, ist es für mich praktisch unmöglich das Ariespendelruder korrekt abzuklappen. Irgendwie habe ich es dann zumindest halbwegs hinbekommen und so gings unter Vollzeug und mit der Aries aus der Bucht von Brest heraus.
Die ruhigen Bedingungen nutzend, wollte ich mir dann erstmal ein ordentliches Frühstück bereiten, die Brötchen waren schon im Ofen, die Eier gequirlt und dann war das Gas alle. Naja, ärgerlich, dann muss ich eben die zweite Gasflasche anschliessen. Pustekuchen, auch die war leer. Na super, statt lukullischem Zeitvertreib und Gaumenfreuden, jetzt drei Tage Dosenbrot, Nüsse und Schokolade.
Exakt wie angekündigt, wehte es zunächst eher schwach aus Süd, kaum erreichte ich aber das freie Wasser, drehte der Wind auf NNE und frischte erheblich auf. Schnell erreichte die Windanzeige die 20kn Marke und Gioias Fußreling zog regelmäßig durchs Wasser. Also Genua wieder eingerollt und zunächst nur unter Groß weiter, die Gioia lief beständig um die acht Knoten, Wind und Welle nahmen weiter zu. Nur unter Groß stimmte zwar die Geschwindigkeit aber die Gioia fuhr einfach nicht ausgeglichen. Also raus aus dem Cockpit, angeleint und vorsorglich zwei Reffs ins Gross einbinden und die Fock gesetzt. Dabei stand ich dann schonmal bis zu den Schienenbeinen in grünem Wasser an Deck.
Deutlich ausbalancierter nahmen wir nun den Tanz mit den Biskayawellen auf, und die wurden, einhergehend mit dem zunehmenden Wind immer mächtiger.
Schon gegen Mittag wehte es mit beständig über 25kn, in Boeen auch gerne mal 30kn und selbst im Cockpit erreichte mich die eine oder andere Dusche.
Das war dann der Zeitpunkt, an dem sich zeigte, dass ich das Pendelruder der Aries nicht richtig zum einrasten gebracht hatte. Plötzlich machte es klack und das Ruder stand im 90°Winkel vom Spiegel ab. Zum Glück war ich gerade selbst hinterm Rad, so dass Gioia nicht aus dem Ruder gelaufen ist. Die Bemühungen das Ruder wieder zu fixieren waren bei diesen Bedingungen zwecklos und mir auch zu gefährlich, also plätscherte das Servoruder die nächsten 20 Stunden fast wie eine Gummiente hinter uns her.
Im Laufe des Nachmittags legte der Wind weiter zu und es wurde wirklich beeindrucken, fast schon angsteinflößend. Die Wellen türmten sich auf bestimmt fünf Meter auf, brachen im freien Wasser und der Wind riss die Gischt von den Kämmen. Zwei- oder dreimal brach so eine Welle dann auch ins Cockpit, der Wind heulte mit 30/35kn durch die Wanten, in Spitzen sogar mit 40kn.
Gut, dass ich den Niedergang schon vorher dicht gemacht hatte und in vollem Ölzeug, doppelt angeleint hinterm Ruder stand. Es brauchte seine Zeit bis ich dem elektrischen Autopiloten soweit vertraute, dass ich mich unter Deck trocken legen konnte.
Als wir dann gegen 23 Uhr die Kontinentalschelfkante erreichten und plötzlich 4500m Wasser unter dem Kiel hatten, entspannte sich die Lage umgehend. Die Wellen würden länger und brachen nicht mehr und der Wind ließ langsam auch weiter nach.
Abgesehen von zwei Störungen durch unseren Kurs kreuzende Dickschiffe (mit einem habe ich sogar kurz über UKW Verbindung aufgenommen) konnte ich auch die Nacht über im halbstunden Rhythmus schlafen, was erstaunlich gut funktionierte.


Mit dem aufziehenden Tag hatte der Wind sich dann auch ausgeblasen und im Morgengrauen wechselte ich von der Fock auf die Genua und schüttelte die beiden Reffs aus dem Groß.
Aber auch das reichte nicht lange, schon bald drückte die Dühnung jedes Profil aus den Segeln und selbst der Bullenstander konnte das Groß nicht bändigen.
Entgegen meiner grundsätzlichen Vorstellungen vom Langstreckensegeln brachte ich dann den Keilriehmenkiller zu Einsatz, schließlich wollte ich nicht mitten in der Biskaya auf das nächste Tiefdruckgebiet warten.
Man könnte meinen, mein Motor wäre kein Nanni Diesel sondern ein VW Käfer – denn er lief und lief und lief...
Den ganzen Freitag herrschte Totenflaute, so aufgewühlt und von Gischtstreifen durchzogen das Wasser gestern noch war, so glatt und friedlich lag es, abgesehen von der langsam rollenden Atlantikdühnung jetzt da.
Nicht nur das Wetter war ruhig, kein einziges Schiff ist mir am Freitag begegnet.
Zeitweilig schien die Sonne, zeitweilig war es leicht bewölkt. Ich habe lange im Cockpit gelesen, dann ein Schläfchen bei offener Luke im Vorschiff gemacht, ein Video angeschaut und mir sonstwie die Zeit vertrieben. Wie der Tag begonnen hat ging er auch zu Ende, ein laues Lüftchen von 1-2Bft aus östlichen Richtung erforderte rund um die Uhr die eiserne Genua, dafür erlaubte die Situation ein Schlafintervall von immerhin 60 Minuten.
Die Nacht brachte wieder einen klaren Sternenhimmel mit vielen Sternschnuppen – langsam gehen mir die Wünsche aus.
Auch der Samstag brachte keinen Wind, so dass der Motor mich bis nach La Coruna bringen musste. Abwechslung brachte nur das spanische Begrüßungskomitee in den frühen Morgenstunden, plötzlich brodelte das Wasser steuerbord voraus und dann waren sie wieder da, mindestens zwanzig Delphine umrundeten die Gioia, schwammen auf der Seite um mich besser sehen zu können, machten sich einen Spaß daraus mir ihren nassen Atem ins Gesicht zu blasen und drängelten sich in der Bugwelle.



Die hohe Küste Galiziens war schon aus bestimmt 50 Meilen Entfernung zu sehen, dadurch erschienen die letzten Stunden doch recht lang.
Erst kurz vor La Coruna gab es wieder Schiffsverkehr, ansonsten hätte ich auch die letzten 48h durchschlafen können. Macht man natürlich trotzdem nicht. Es ist schon komisch, in der Phase bevor ich wirklich einschlafe, sehe ich ganz realistisch riesige Schiffe an mir vorbeiziehen, haushohe Stahlrümpfe direkt vor der Gioia aufragen oder ganze Fischerflotten auf mich zuhalten.
Schon irre, was für Späße das Unterbewusstsein mit einem Einhandsegler treibt.



In La Coruna angekommen, zog es mich erstmal dringend unter die, hier in der Marina wirklich hervorragenden Duschen und anschließend gings es noch kurz in die Stadt, mal wieder was warmes essen. Beeindruckend wie brodelnd lebendig es hier zugeht. Menschenmassen auf den Straßen, lautes Stimmengewirr und hunderte Fußball spielende Kinder überall.
Selbstverständlich stehen hier Meeresfrüchte ganz oben auf den Speisekarten, auf allen Speisekarten, Tintenfisch, Muscheln und Garnelen wo man auch hin schaut.
Für mich gab es dann nur ein paar Tapas oder besser Raciones, die heiß begehrten Datteln im Speckmantel und Bohnen mit Speck konnte ich allerdings noch nicht ausfindig machen.
So wie es aussieht, werde ich wohl einige Tage hier bleiben und auf mal wieder auf passende Winde warten müssen. Anscheinend soll sich der Donnerstag bei mir zum Abreisetag entwickeln. Donnerstag ab Kiel, Donnerstag ab Cherbourg, Donnerstag ab Camaret und nun sieht es so aus als ob mir der SW Wind bis Donnerstag den Weg ums Kap Finisterre versperren würde.