Samstag, 18. Februar 2012

Atlantikpassage, von Mindelo, Kap Verden nach Le Marin, Martinique, Kleine Antillen 01.02.2012 bis 16.02.2012



Bevor es am Mittwoch, dem 01.02.2012 endlich gen Westen losgehen konnte, standen noch einige Dinge auf der todo Liste. Auf dem Markt habe ich noch eine Menge Gemüse und Obst eingekauft und konnte in den folgenden Tagen feststellen, dass Proviantierung ein Bereich ist, in dem ich noch eine Menge lernen kann. Nicht nur, dass ich für meinen Geschmack deutlich zu viel bezahlt habe, leider fingen einige Früchte quasi schon Stunden später zu schimmeln an. Der Weißkohl zum Beispiel, ansich ja ein Gemüse, dass sich wochenlang halten sollte, war schon nach zwei Tagen auf See mit einem grauen Pelz überzogen oder auch einige Orangen, kaum an Bord, verbreiteten sie den charakteristischen, intensiven Geruch und sahen ihrer Seebestattung entgegen.
Deutlich besser sah es mit der Supermarktware aus, die Birnen waren auch im karibischen Meer noch ein Genuss.
Trotz aller Verluste konnte ich mich auf dem ganzen Törn sehr vielseitig und ausgewogen ernähren, habe eine Menge Zeit in der Kombüse verbracht und wohl deutlich besser gegessen als „früher“ im Alltag.
Letztlich war sogar meine Suche nach einem Teeei in Mindelo von Erfolg gekrönt, auch wenn ich diesen recht teuer bezahlt habe. Nachdem ich den vierten Laden ohne Erfolg verließ, sprach mich ein junger Kapverder an und offerierte seine Hilfe. Wie sich zeigt, lebt sein Bruder in Hamburg und so zogen wir gemeinsam durch die chinesischen Gemischtwarengeschäfte und wurden dann irgendwann auch fündig – eine knallbunte Silikonerdbeere für zwei Euro wird mir nun zukünftig bei der Teebereitung dienlich sein. Während der junge Kapverder zuvor jede Bezahlung weit von sich gewiesen hatte, kam dann doch die versteckte Forderung, gerade wäre er ja Vater von Zwillingen geworden und die Mutter habe nicht genug Milch, ob ich denn nicht ein bisschen Milch für die kleinen bezahlen könnte? Ich bin ja kein Unmensch und war auch wirklich glücklich endlich ein Teeei zu besitzen, konnte ja nicht ahnen, dass ein bisschen Milch in Wirklichkeit eine große Dose niederländisches Milchpulver ist und diese satte zwölf Euros kosten soll.
Was solls, ist ja für einen guten Zweck, hoffen wir, dass aus seinen Zwillingen große, kräftige Kerle werden.
Diese kleine Episode erinnerte mich an einen englischen Seglerblog, in dem über die Kap Verden zu lesen ist, dass deren Bewohner schon immer davon gelebt haben, den vorbei kommenden Seeleuten das Geld aus der Tasche zu ziehen, wieso sollte das heute anders sein?
Erinnert mich irgendwie an Helgoland...
Nachdem dann auch die Wassertanks gefüllt, ich nochmal ausgiebig geduscht hab und schließlich auch die Dieselvorräte komplettiert waren gings dann wirklich los.
Ein bisschen mulmig war mir ja doch, gute zweitausend Meilen vor mir, womöglich vierzehn Nächte nicht ordentlich schlafen und dann noch die Sorge um die chinesischen Fischtrawler die zuhauf in Mindelo stationiert sind und dafür berüchtigt sind ohne AIS und Brückenwache die Gewässer zu durchpflügen.
Wie dem auch sei, ich muss es nehmen wie es kommt. Einfach die Leinen losschmeissen, die Segel setzen und abwarten was da kommen möge.
Zwischen den Inseln wehte mich die allgegenwärtige Düse schnell nach Süden in die große Flaute im Lee von Santo Antao, ich hätte doch einen größeren Bogen fahren sollen.
Trotz allem verließ ich noch vor Sonnenuntergang den von den Inseln beeinträchtigen Bereich und segelte in schönstem Passat in die erste Nacht hinein.
Verabschiedet von, wie sollte es anders sein, meiner bisher größten Delfingruppe. Sicherlich 70 Tiere sausten um die Gioia herum, schlugen Saltos, machten Bauchklatscher und fiepten um die Wette – ja, man kann sie wirklich hören.
Und dann gelang es mir endlich die Windsteueranlage zum Laufen zu bringen, zumindest so halbwegs und für eine kurze Zeit. Offensichtlich trennt die Kupplung des elektrischen Autopiloten nun vernünftig und die Aries steuert ausschließlich mit der Kraft des Windes und des Wassers.
Leider kommt sie mit den Raumschotsbedingungen und den doch recht ordentlichen Wellen nicht wirklich zurecht, der Kurs schwankt um knapp neunzig Grad und immer wieder erfordern schlagende Segel mein Eingreifen.
Am späten Abend muss ich wieder einmal ins Cockpit und muss dort feststellen, dass ein Steuerseil der Aries gerissen ist, also die Gioia auf Kurs gebracht und dann den elektrischen Piloten aktiviert.
Doch ich muss feststellen, dass dieser offensichtlich auch Schwierigkeiten hat, zumindest zieht er eine Menge Energie, die Spannung fällt kurzfristig trotz voller Batterien auf unter 11,5V und dann fällt plötzlich die gesamte Navigationselektronik aus und im Cockpit wird es dunkel.
Großer Schreck, sofort gehe ich im Kopf die Optionen durch, wie weit ist es zurück nach Mindelo?
Ohne Autopiloten möchte ich diesen Törn nicht angehen, dass überlasse ich gerne anderen.
Als ich nach einigen Minuten aber unter Deck die Sicherungen wieder einschalte, erledigt der AP wieder wie gewohnt seinen Dienst und auch der Energieverbrauch ist wieder im normalen Bereich.
In der ersten Nacht liege ich zwar lange in der Koje, kann aber nicht recht schlafen.
Wache gehen, wie so häufig in den kommenden Tagen, mein Radar und das AIS.
Allerdings wird es noch eine ganze Zeit dauern, bis meine elektronischen Wachführer wirklich was zu melden haben, der Atlantik ist groß und einsam...
In den folgenden Tagen kam ich langsam in den Langstreckenrhythmus, d.h schlafen, die Gioia prüfen, Kleinigkeiten reparieren (z.B. neue Steuerseile in die Aries einziehen), kochen und essen, lesen, Navigation (wobei es nicht viel zu navigieren gibt: west, west, west) und wieder schlafen.
Zwischendurch immer wieder das Meer geniessen, seine unbeschreibliche Weite, das tiefe Blau, die Vielfältigkeit der Wellen, die Vögel und fliegenden Fische und die vielen hellgrünen Algensträuße die an mir vorbei treiben.
An Wind mangelt es nicht, ständig läuft die Gioia über sieben Knoten und so ergeben sich auch respektable Etmale (die in 24h gesegelte Strecke) von 170sm, 185sm und 165sm.
Am späten Nachmittag des 03.02.2012 knallt es plötzlich recht laut, ich springe ins Cockpit und sehe noch ein rotes Dieselfass im Kielwasser treiben. Das ist doch unglaublich, diese unvorstellbare Weite und ich erwische wieder so einen blöden, roten Metallgegenstand, wieder mit der Steuerbordseite, diesmal bleibt als Erinnerung allerdings nur ein kleiner roter Kratzer am Rumpf.
Am Abend, während der Motor die Batterien lädt, schaue ich auf dem Rechner einen Spielfilm.
Der dritte Seetag, Samstag, 04.02.2012 brachte dann sehr ruhige Bedingungen, der Wind ließ immer mehr nach und drehte bis auf Süd und um 18.00Uhr herrscht Flaute.
Ich reibe mir Karotten und Äpfel, genieße Serranoschinken auf Vollkornbrot und frisch gepressten O-Saft. Lass es mir gut gehen, dusche ausgiebig im Cockpit und vermeide jeden Blick auf das GPS, denn dort ist zu lesen, dass ich bei der momentanen Geschwindigkeit noch 48 Tage bis in die Karibik brauche...
Gegen Mitternacht kam wieder eine leichte Brise auf, immerhin genug um wieder Ruder im Schiff zu haben, kurz darauf bekam ich wieder Besuch von Delfinen, eine halbe Stunde saß ich im Bugkorb und hab ihnen gelauscht und sie zu immer gewagteren Sprüngen angefeuert.
Einfach schön!


Am Montag Morgen um 3.40Uhr weckt mich dann mein Radar, ein Schiff im Warnbereich!
Kurz darauf bestätigt es auch mein AIS und gibt mir nähere Informationen. Die Wappen von Leipzig, ein Tanker auf dem Weg nach Rotterdam kreuzt meinen Kurs und fährt sogar noch einen Schlenker in meine Richtung um dann mein Heck in 0,5sm Entfernung zu passieren. Neugierig war der Wachhabene, schnacken wollte er aber nicht, zumindest bekam ich auf meinen UKW Ruf keine Antwort.
Der Dienstag brachte zweierlei, zum einen wieder Flaute und zum anderen die ersten durchziehenden Squalls, typische Wolkenfelder die ein bisschen Regen und i.d.R. ordentliche Böen bringen. Heute waren es bis zu 35kn Windgeschwindigkeit, da geht die Gioia unter Vollzeug schon richtig ab, bis zu 11,5kn hatte ich auf der Uhr.
Vorbeugend habe ich heute das Großfall gekürzt, der Tauwerkmantel hatte an der Masttoprolle schamfielt und bevor das Fall reist und in den Mast fällt habe ich lieber das eingespleisste Auge gekappt und knote jetzt wieder, wie auf der TurTur, das Fall an den Segelkopf.

Die Squalls kommen jetzt jede Nacht, bringen Wind und rauben mir den Schlaf. Denn das Radar meldet zuverlässig jede Front und piept mich aus dem Schlaf.
Eine dieser Böen dauert dann auch länger und war kräftiger als erwartet und beschert mir einige Probleme.
Zunächst versuche ich die Böe mit gefierter Großschot auszufahren, das schlägt mir zwar den im Großbaum gelagerten Piekhaken über Bord, macht die Situation aber kaum angenehmer.
Der Bullenstander, eine Leine die das ungewollte umschlagen des Großbaums verhindern soll, erschwert das Reffen beider Segel, an der Großbaumnock beklemmt er die Reffleinen und im Cockpit liegt er auf der gleichen Winch wie die Reffleine der Genua.
Ich hab dann die Genua zunächst komplett eingerollt und anschliessend auch das Groß geborgen um dann, Stück für Stück wieder mehr Segelfläche zu setzen.
Der Wind ist es aber nicht, der das Segeln etwas unangenehm macht, es sind die Wellen die aus unterschiedlichen Richtungen zugleich kommen und die Gioia nur so hin und her werfen. Zeitweise komme ich mir vor wie der Martini von James Bond, geschüttelt, nicht gerührt...
Nach einem Tag Schaukelei gucke ich mir Abends, während der Motor mal wieder die Batterien lädt, den Film von Willi Erdmann über seine magische Route an, diesmal mit ganz anderen Augen.
270 Tage nonstop auf See, meine Güte, dass kann ich mir momentan noch nicht wirklich vorstellen.
Allerdings habe ich sein bestes Etmal auch schon mehrfach im Sack – dann wären es ja nur 240 Tage oder so...
Das Wetter bietet nicht immer nur Sonnenschein, am 8.2. war es z.B. den ganzen Tag extrem diesig und dabei auch windig mit Kreuzseen. Da ist es gut zu wissen, dass diese Tage hier unten eher die Ausnahme sind und dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es am nächsten Tag wieder freundlicher ist. So kam es dann auch.
Nachdem ich auf dem gesamten Atlantik bisher nur zwei Großschiffe zu Gesicht bekommen habe, entdeckte ich am Morgen des 14.02.2012, nach 13 Tagen auf See das erste Segelboot, zunächst auf dem Radar und später dann auch vor mir am Horizont. Meter für Meter habe ich mich den ganzen Tag heran gearbeitet um dann am späten Abend feststellen zu dürfen, dass der Segler darauf verzichtete seine Beleuchtung einzuschalten und auch auf UKW nicht antwortete.
Schon ein komisches Gefühl, zu wissen, dass da eine dreiviertel Meile vor dir ein Segler ist, du beständig aufholst aber ausser dunkler Nacht absolut nichts sehen kannst.
Als mein Radar eine Distanz von nur noch einer halben Meile anzeigt, schalte ich die Festbeleuchtung an, d.h. den starken, im Deck eingelassenen Scheinwerfer und zusätzlich die helle Salingslampe. Nun ist die Gioia nicht mehr zu übershen und beleuchtet wahrscheinlich den halben Horizont und siehe da, plötzlich entdecke ich ein schwaches Licht voraus, der Segler leuchtet mit einer Taschenlampe in seine Segel und kurz darauf plärrt es auch aus der Funke.
Wie sich im darauf folgenden Gespräch heraustsellt, handelt es sich um einen Franzosen, dessen Batterien schlapp gemacht haben. Wir klönen einen Moment, er ist ebenfalls auf dem Weg nach Martinique und dann bin ich vorbei und er verschwindet wieder in der Dunkelheit.
Auf der Zielgeraden komme ich gut voran, allerdings nicht gut genug um Le Marin im Süden von Martinique noch vor der Dunkelheit zu erreichen, daher schalte ich einen Gang zurück, nehme das Groß ganz weg und schaukele ganz in Ruhe die letzen Meilen durch die Nacht.
Irgendwann tauchen dann auch die ersten Lichter am Horizont auf und nach einer letzten Halse durchfahre ich die Enge zwischen St. Lucia und Martinique, luve hinter dem Südkap an und nach wenigen Meilen erreiche ich am 16.02.2012 um drei Uhr Ortszeit Le Marin.
Um jedes Risiko zu vermeiden verzichte ich auf ein nächtliches Einlaufen in die Bucht, drehe statt dessen bei und haue mich noch für zwei Stunden aufs Ohr.
Pünktlich zum Sonnenaufgang laufe ich dann in die Bucht von Le Marin ein, vorbei an grünen Hügeln, weißen, Palmen gesäumten Stränden finde ich mich plötzlich inmitten von hunderten ankernden Yachten, jeden Kalibers wieder.


Eben noch das einzige Schiff auf dem Ozean und nun ist Gioia wieder eine unter vielen – komisches Gefühl.
Zunächst irre ich ein wenig durch das Ankerfeld, finde nicht recht die Zufahrt zur Marina, der Weg ist durch eine Untiefe versperrt. Ich muss erst wieder ganz zurück und die nördliche Rinne nutzen.
Doch leider ist der Hafen randvoll, als Zielhafen der französischen Transquattra Regatta liegen neben den normalen Gästen noch einige Dutzend Regattateilnehmer an den Stegen.
So bleibt mir nur ein Platz im Ankerfeld, der Haken hält aber auf Anhieb und problemlos.
In aller Ruhe klare ich die Gioia auf, trinke ein Anlegerbier (in Erinnerung an die Zeit mit Tom auf den Kap Verden ist es ein „Atlas“ Starkbier!) und pumpe das Dingi auf.
Als ich ein paar Stunden später dann nach 15 Tagen den ersten Fuss an Land setze, geschieht dies völlig unspektakulär und auch von mir gänzlich unbemerkt. Erst ein paar Minuten später denke ich: „Hey, du hast wieder festen Boden unter den Füßen!“


Zahlen:
2.200sm
knapp 15 Tage
durchschnittlich 6,3 Knoten
bestes Etmal 190sm
schlechtestes Etmal 105sm
Topspeed 11,5kn (die Welle runter)
ca. 30 Motorstunden zum Laden der Batterie
über 95% unter Autopiloten
Wind max. 38kn
Wind min. 0kn
Welle max. ca. 4-5 Meter
Welle min. ca. 1,5 Meter

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Bruch und Verlust: Steuerleinen der Aries, Großfall gekürzt, Piekhaken über Bord